Wohnen am Berg

Die Familie Schranz und das Wohnhaus Schorta in Tamins (GR)

Bei Reichenau, wo Vorder- und Hinterrhein zusammenfliessen, liegt hoch am Hang das beschauliche Bergdorf Tamins. An einem Hügel, leicht abseits, steht ein Gebäude des Architekten Rudolf Olgiati aus den 1970er-Jahren. Hier lebt seit Kurzem die Familie Schranz, die das Gebäude über «Marché Patrimoine», die Immobilienplattform der Stiftung Ferien im Baudenkmal und des Schweizer Heimatschutzes, erworben hat.

In Tamins (GR) steht das
Gebäude des Architekten
Rudolf Olgiati, das er
1974 für das Ehepaar
Schorta entworfen hat.
In Tamins (GR) steht das Gebäude des Architekten Rudolf Olgiati, das er 1974 für das Ehepaar Schorta entworfen hat.

Eine schmale Treppe führt hinauf vor den skulpturalen Bau. Spätestens hier erkennen Fachkundige, aus wessen Feder dieser stammt: Das Gebäude trägt modernistische Züge. Doch ein Trichterfenster und die massive Bauweise fallen auf. Die Holztür trägt eine charakterstarke Patina.

Tradition und Moderne

1974 hat Rudolf Olgiati dieses Wohnhaus für das Ehepaar Schorta entworfen. Nach zwei Jahren stand der Bau bereit zum Einzug. Bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr lebte der Hausherr in Tamins.

Das Haus zeigt wichtige Merkmale von Rudolf Olgiatis Baustil. Anders als sein Sohn Valerio baute er hauptsächlich im Bündnerland und suchte nach der Synthese von lokaler Tradition und Architektur. In unverkennbarer Manier schuf er Bauwerke, die scheinbar gegensätzliche Elemente zur Symbiose bringen. Dabei ufert die Handschrift des Architekten bisweilen aus, nimmt kubistische Züge an. Schonungslos kontrastiert Olgiati den nüchternen Funktionalismus der Moderne mit reich patinierten Bauteilen, fragmentierten Raumkompositionen oder Archetypen der Bündner Bautradition. Dabei ging er niemals restaurativ vor, sondern stellte die Architektur in eine intime Beziehung mit dem Ort. Das macht die Werke von Rudolf Olgiati zu Baukunst.

Kubistisches Bergtal

Betritt man das Haus, entfalten sich die Pfade und Gänge des Gebäudes wie ein Hasenbau. Ein schmales Entrée von beeindruckender Raumhöhe führt über eine Handvoll Stufen hinauf zu einem verzweigten Podest. Die kubistischen Wände erinnern an ein Bergtal.

Betritt man das Haus, entfalten sich die Pfade und Gänge des Gebäudes wie ein Hasenbau.

Haus im Hang

Der behagliche Zwischenraum bildet das Herz des Hauses und ermöglicht eine Übersicht über die ansonsten verwinkelte Raumabfolge: Links ein Halbgeschoss mit offenem Atelierraum und kompaktem Schlafzimmer. Daneben führt eine kurze Treppe hinab in den kleinen Naturkeller. Hangseitig sind Schutzraum und Nasszellen angelegt, über dem Eingang situiert ein weiteres Schlafzimmer mit Blick auf den Vorplatz. Ein schmaler Gang führt in den hinteren Teil des Hauses zur angegliederten Einlegerwohnung. Der Schnitt zeigt, dass das Gebäude aus zwei kombinierten Bauvolumen besteht, wobei sich das Obergeschoss auf gleicher Höhe wie die Hügelspitze befindet. Hier liegen Elternschlafzimmer, Küche sowie Wohn- und Essbereich mit Blick ins Tal.

Drei Glücksfälle

Vor rund einem Jahr hat Michel Schranz, Architekt mit eigenem Büro, in Tamins eine Garage in Holzbauweise umgesetzt. Durch den Auftrag wurde er aufmerksam auf das benachbarte Gebäude: das Haus Schorta. Ein Glücksfall, denn seine Frau Anneka, Innenarchitektin bei Okro, und er suchten mit Tochter Malin und Sohn Emil seit ihrem Umzug von London nach Chur nach dem passenden Zuhause. Ein zweites Mal hatten sie Glück: In einem Bieteverfahren erhielten sie den Zuschlag. Unverzüglich machte sich das Ehepaar an die Planung. In London hat Michel als Architekt häufig im Bestand gearbeitet und konnte den Zustand der Substanz und die anfallenden Arbeiten gut einschätzen.

Ein drittes Mal zeigte sich das Glück: Der Vorbesitzer hatte noch bis kurz vor seinem Tod in die Renovation der Gebäudehülle investiert.

Die Nordseite des Haus Schorta
Die Nordseite des Haus Schorta.

Mit eigenen Händen

Mit befreundeten Architekten tauschten sich Michel und Anneka zum geplanten Umbau aus. Letztlich handelten sie aus dem Bauch heraus, frischten die Innenräume möglichst originalgetreu auf und machten sich den Bau mit gezielten Eingriffen zu eigen. Zwei Wände wurden entfernt, die Terracottaplatten in der Küche ausgebaut, eingelagert und durch blutroten Linol ersetzt. Wo immer sinnvoll, erledigte die Familie die Arbeiten eigenhändig. «Dadurch haben wir ein Gefühl für das Haus entwickelt. Wir waren im Dialog mit Olgiati», erinnert sich Michel und erzählt von den Einsichten. Olgiati scheint viele Änderungen während des Bauprozesses vorgenommen zu haben, um das Gebäude an seinen Standort anzupassen. Ausblicke setzte er präzise, die Architektur liess er auf die eingesetzten Türen angleichen. Dachbalken wurden mit patiniertem Holz verkleidet.

Die Familie Schranz hat die Innenräume möglichst originalgetreu aufgefrischt.

Leben im Haus Schorta

Seit einem halben Jahr wohnt die Familie Schranz nun in Tamins. Auf die Frage, wie sie sich eingelebt haben, meint Michel scherzhaft: «Suchen wir im verwinkelten Haus Dinge, so fühlt sich der Gang durchs Haus wie eine Wanderung an.» Abgesehen von den Details der Eingewöhnungsphase geniessen Michel, Anneka, Malin und Emil das Leben im Kunstbau mit Sicht auf das prächtige Bündner Bergpanorama in vollen Zügen und tragen das architektonische Erbe von Rudolf Olgiati in die Zukunft.

Wort: Rik Bovens, Bild: Elisa Florian
Dieser Artikel wurde erstmals im Magazin Wohnrevue 11-22 publiziert.
Zweite Publikation in der Zeitschrift Heimatschutz/Patrimoine 2-2023.

Projekt: ms-da.com (Website des Architekturbüros von Michel Schranz)