«Ressourcen nicht leichtfertig verschwenden»
Im Gespräch mit Silke Langenberg.
Silke Langenberg lehrt an der ETH Zürich Denkmalpflege und Konstruktionserbe. Ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit ist die Nachhaltigkeit. Ein Gespräch über den Umgang mit Baudenkmälern, graue Energie, Recycling, die Reduzierung des Materialverbrauchs und über die Reparatur im Bestand.
Frau Langenberg, Sie haben in den 1990er-Jahren an der Universität Dortmund ein Architekturstudium begonnen. Was hat sie damals an diesem Studienfach gereizt: war’s die Freude am Entwurf, an der Konstruktion oder schlicht die Lust am Bauen?
Ich habe das Architekturstudium gezielt mit Blick auf eine spätere Tätigkeit im Bereich der Denkmalpflege ausgewählt. Ältere Bauten haben mich damals mehr fasziniert als neue. Während des Studiums entwickelte sich dann natürlich auch ein Interesse am Entwurf, doch letztlich hat mich die Konstruktion mehr fasziniert…
… und Fragen rund um die Nachhaltigkeit beim Bauen. Wann wurde der Keim dazu gelegt – eventuell während der Arbeit an Ihrer Dissertation Bauten der Boomjahre?
Den stärksten Einfluss hatte sicher Uta Hassler, die damals noch als Professorin für Denkmalpflege und Bauforschung an der Universität Dortmund lehrte und forschte. 2005 wechselte sie an die ETH nach Zürich. Uta Hassler war eine der ersten, die den Ressourcenverbrauch im Bauwesen thematisierte. Ich selbst habe bereits in meiner Diplomarbeit bei ihr gemeinsam mit einem Bauingenieur Stoffströme gerechnet.
Stoffströme?
Wir haben berechnet, wie viel Material und graue Energie in dem von uns untersuchten Bestand verbaut ist und wie viel für den von uns geplanten Umbau aufgegeben, bzw. neu aufgewendet werden muss.
Seit August 2020 sind Sie ordentliche Professorin an der ETH Zürich und lehren «Konstruktionserbe und Denkmalpflege». Die Aufgabe der Denkmalpflege ist geläufig, was hingegen unter Konstruktionserbe zu verstehen ist, bedarf einer Erklärung. Geht es um das Erfassen und Bewerten von Konstruktionen?
In der Denkmalpflege geht es ja nicht nur um die Würdigung gestalterischer, sozial- oder kulturgeschichtlicher Werte. Auch die Konstruktion und der Bauprozess können Kriterien sein, die für den Schutz eines Objektes sprechen. Diese sind am ausgeführten Bauwerk allerdings häufig schwer oder gar nicht ablesbar. Die Schweiz hat ein bedeutendes konstruktives Erbe und es ist mir ein Anliegen, neben gestalterischen auch ingenieurwissenschaftliche Leistungen zu würdigen.
Und worum konkret geht es?
Um besondere Tragwerkslösungen, aber auch um Prozessinnovationen bzw. die Frage, wie etwas konkret gebaut und gefügt wurde.
Werfen Sie dabei Ihren Blick sowohl auf Hoch- wie auf Tiefbauten?
Da unterscheiden wir nicht. Wir beschäftigen uns mit Bauwerken, die mit den aktuellen Kriterien der Denkmalpflege schwer zu erfassen oder zu vermitteln sind – oder die uns bezüglich ihrer konstruktiven Erhaltung vor Probleme stellen. Hier gibt es selbstverständlich Parallelen zur Industriedenkmalpflege – insbesondere bei der Vermittlung «technischer Werte».
«Was geschieht mit jenen Bauten, die kein Denkmal sind?»
Im Vorlesungsverzeichnung zum Wintersemester 20/21 formulieren Sie ein Ziel: «Im Hinblick auf eine nachhaltige und verantwortungsvolle Entwicklung des Baubestandes ist es notwendig, nicht nur die klassischen Ansätze (…) der Denkmalpflege zu kennen, sondern sich auch mit Fragen der Kreislaufwirtschaft auseinanderzusetzen.» Was heisst das konkret?
Diese Fragen werden am Institut für Denkmalpflege und Bauforschung schon sehr lange thematisiert. Für den Umgang mit Schutzobjekten gelten besondere Regelungen, die selbstverständlich bekannt sein müssen. Doch was geschieht mit der grossen Menge all jener Bauten, die keine Denkmäler sind? Wie viel Material und graue Energie ist in diesen Objekten gelagert? Was verlieren wir, wenn wir sie einfach aufgeben? Neben kulturellen sind das auf jeden Fall auch materielle Werte. Ökologische, aber auch wirtschaftliche Überlegungen spielen also ebenfalls eine Rolle. Das wollen wir den Studierenden vermitteln.
Sie haben einmal den Satz geprägt: «Nicht jedes Objekt (…), das zu erhalten sinnvoll wäre, ist ein Denkmal.»
Mit diesem Satz wollte ich eigentlich betonen, dass der nachhaltige Umgang mit dem Baubestand nicht primäre Aufgabe des Denkmalschutzes ist. Es muss geschützt werden, was die gesetzlichen Kriterien erfüllt. Dass wir mit dem grossen Rest des Bestandes ebenfalls verantwortungsvoll umgehen und Ressourcen nicht leichtfertig verschwenden, dafür sind wir alle zuständig. Darauf zielt ja unter anderem auch die «Strategie Baukultur» des Bundes.
Gilt das auch für Neubauten?
Natürlich! Gerade dort kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Wir versuchen den Blick der Studierenden dahingehend zu schärfen, dass die von ihnen geplanten Objekte reparaturfähig sind. Was repariert werden kann, kann länger genutzt werden.
Ich stelle einen Paradigmenwechsel fest und frage mich: Wird die traditionelle Denkmalpflege nicht auf den Kopf gestellt, wenn ein Objekt auch aus anderen als den «klassischen» Werten wertvoll ist?
Nein. Das Ressourcenthema ist für mich nicht in erster Linie ein Denkmalthema – zumal der ökologische Aspekt kein gesetzlich definiertes Schutzkriterium ist. Wäre dies so, hätten wir aber plötzlich sehr viele Denkmäler… Man kann den Bestand unterteilen in jenen Bereich, der aufgrund klar definierter Kriterien geschützt ist und in der Regel von einer Mehrheit der Bevölkerung auch geschätzt wird. Das ist der klassische Denkmalbereich. Die Mehrheit der bestehenden Bauten ist aber nicht geschützt. Dort müssen auch ökologische Kriterien handlungsbestimmend sein.
Was erhalten werden soll, muss reparaturfähig sein. Darauf zielt wohl Ihr Seminar «Reparatur: Anstiftung zum Denken und Machen».
Und damit ist nicht nur die handwerkliche Reparatur gemeint. Die digitale Fabrikation erweitert die Möglichkeiten der Reparatur. Mit einem 3D-Drucker beispielsweise können nicht mehr erhältliche Ersatzteile passgenau hergestellt werden. Objekte müssen nicht mehr entsorgt werden, nur weil ein entscheidendes Teil nicht mehr verfügbar ist. Dafür ist jedoch die Trennbarkeit der Konstruktion eine grundsätzliche Voraussetzung.
Werden diese Möglichkeiten auch genutzt?
In vielen industriellen Bereichen schon, in der Architektur noch wenig. Aber gemeinsam mit meinen Kollegen aus dem Institut für Technologie in der Architektur arbeiten wir selbstverständlich daran.
Reparatur in der Architektur: Ich denke da primär an Beschläge, Türfallen, Fenster… heisst das, dass die Reparatur bereits beim Entwurf Thema sein soll?
Unbedingt! Die Reparaturfähigkeit und Trennbarkeit muss ein wesentliches Kriterium bei der Planung und Konstruktion sein – ein Anliegen, das übrigens auch der SIA in seinem Positionspapier zu Klimaschutz, Klimaanpassung und Energie so formuliert hat.
Wie sieht es mit der Nutzung von Gebäuden aus?
Ein flexibel geplantes Gebäude kann besser umgenutzt werden. In diesem Bereich schlummert im Bestand noch ein ziemliches Potenzial.
«Bei den Schlagworten ‹Reduce–Reuse–Recycle› steht das Reduzieren nicht ohne Grund an der ersten Stelle.»
Bei der Durchsicht Ihres Lehrangebotes bin ich auf weitere Begriffe gestossen, auf Reduce oder auf Recycling… wäre die Wiederverwertung von Baumaterialien letztlich der nachhaltigste Beitrag zur Verminderung des Bauschuttes?
Natürlich ist Recycling der richtige Weg. Das wird auch bereits praktiziert. Nur ist Recycling ja nicht energieneutral! Bei den Schlagworten «Reduce–Reuse–Recycle» steht das Reduzieren nicht ohne Grund an der ersten Stelle. Weniger abbrechen und die Objekte länger zu nutzen bringt bezüglich Nachhaltigkeit mehr als etwas auszubauen, aufwendig weiter zu verarbeiten und wieder neu einzubauen. Aber natürlich bin ich keine Recycling-Gegnerin. Ganz im Gegenteil! Es darf nur nicht passieren, dass wir verschwenderisch mit etwas umgehen, weil man es ja theoretisch recyceln kann. Hier geht es um Suffizienz.
Wie könnte man Anreize zu diesem ökologischen Handeln schaffen?
Erst einmal braucht es sicher ein grundsätzliches Umdenken. Aber auch Steuererleichterungen können unter Umständen helfen. In manchen skandinavischen Ländern wird beispielsweise die Mehrwertsteuer auf Reparaturen erlassen.
Aufgrund ihrer Aufgabe ist die Denkmalpflege doch schon längst eine «grün-nachhaltige Institution»
Die Ökologie spielt auch im Umgang mit Bauten im Bestand eine wichtige Rolle. Da stellt sich die Frage: Wird eine kulturbewahrende Institution wie beispielsweise die Denkmalpflege unter dem Diktat der Ökologie nicht immer mehr zu einer grün-nachhaltigen Institution?
Aufgrund ihrer Aufgabe ist die Denkmalpflege doch schon längst eine «grün-nachhaltige Institution». Indem sie dafür sorgt, dass wertvoller Bestand erhalten bleibt, handelt sie nachhaltig. In dieser Hinsicht gehört sie geradezu zur Avantgarde!
Andererseits könnte der Schweizer Heimatschutz sich mittelfristig zum reinen Umweltverband wandeln, der nebenbei noch baukulturelle Aufgaben wahrnimmt.
Umweltschutz und Baukultur widersprechen sich doch nicht. Der Heimatschutz setzt sich seit seiner Gründung neben der Baukultur immer auch für die Natur ein und handelt somit seit seinen Anfängen ebenfalls ökologisch und nachhaltig.
Nehmen wir mal an, Sie müssten einen Verhaltenskodex für Architekten verfassen: Was stünde in der Präambel?
«Was ich neu baue, sollte besser sein als das, was ich aufgebe.» Und dieser Anspruch bezieht sich nicht nur auf die Gestaltung, sondern auch auf die Materialität, Konstruktion und Haltbarkeit.