Zeigen, was auch noch möglich ist

Simon Heusser und das «Säckelmeisterhaus» in Wohlen (AG).

Während einiger Zeit stand das «Säckelmeisterhaus» in Wohlen AG leer. Dann kaufte es Simon Heusser (33), und seit Februar 2018 restauriert er das historische Gebäude: mit Fachwissen, handwerklichem Geschick, Gespür für die Geschichte und viel Leidenschaft.

Seit Simon Heusser die Liegenschaft an der Steingasse 47 im aargauischen Wohlen besitzt, begleitet ihn ihre Geschichte. Das dreistöckige Gebäude wurde zwischen 1803 und 1805 von Kantonsrat und Säckelmeister von Wohlen, Anton Isler, erbaut. Daher stammt auch der Name: das «Säckelmeisterhaus». Was auch bekannt ist: Das Anwesen auf einer leichten Anhöhe lag an der Hauptverkehrsachse zwischen Zürich und Bern. Hier wurden die Gespanne gewechselt. Wo Reisende rasten, hat es in der Regel eine Beiz. Im Laufe der Jahre lud auch das «Säckelmeisterhaus» zeitweise im Parterre wie auch im ersten Stock zu Schnaps und Schwatz. Ein reizvolles Indiz dieser Nutzung als Gaststube lieferte die Renovation, als Hausherr Heusser sechs alte Münzen, die Zechern vor Zeiten aus dem Beutel gefallen sein mussten, aus Ritzen klaubte … Das und noch einiges mehr ist nachzulesen auf der Informationsplattform www.steingasse47.ch. Denn kaum hatte Simon Heusser mit der Renovation des Objektes begonnen, hat er einen Blog eingerichtet und dort detailliert sein Tun dokumentiert – vom verwendeten Material über die Arbeitstechniken bis hin zu den aufgewendeten Arbeitsstunden.

Das «Säckelmeisterhaus» in Wohlen wurde zwischen 1803 und 1805 erbaut. (Bild: ZVG)

Wer heute vor dem kalkweissen Haus steht, sieht von diesen Arbeitsschritten wenig. Die allmähliche Instandstellung des Gebäudes ist an diesem Januartag hingegen noch auf den einzelnen Etagen ablesbar. Der Dachstock, wo einst Knechte ihre Kammern bezogen, ist seit letztem Sommer das Zuhause von Simon Heusser und seiner Partnerin. Ebenfalls fertig gestellt ist der erste Stock. Bei unserem Besuch sind die Räume allerdings noch leer. Ein paar Bücherkisten stehen herum. Bald wird der erste Mieter einziehen. Das Parterre hingegen ist noch eine Baustelle. Die Wandvertäfelungen sind grösstenteils fertig restauriert und bereit für den Anstrich mit Ölfarbe. Auch der Kachelofen wurde bereits neu aufgebaut und wieder funktionstüchtig gemacht. Es fehlen noch Einbauten wie Bad und Küche.

Eines der Zimmer der renovieren Wohnung im ersten Obergeschoss. (Bild: ZVG)

Auch heutige Bedürfnisse abdecken

Der Blick in die restaurierten Wohnungen zeigt Simon Heussers Umgang mit diesem Objekt. Er nimmt Rücksicht auf die Baugeschichte und beachtet die Bauökologie wie die Baubiologie. So hat er den alten Bestand wo immer möglich erhalten und restauriert, fehlende Teile mit Teilen aus Abbruchobjekten ersetzt oder originalgetreu nachgebaut – stets mit Bedacht, denn Simon Heusser weiss: Imitation kippt schnell in Kitsch. Gewisse Eingriffe mussten dennoch vorgenommen werden, um eine den heutigen Bedürfnissen entsprechende Wohnnutzung zu ermöglichen. So wurde im ersten Stock ein Durchbruch gemacht, der nun die Räume verbindet. Früher waren sie über vier Türen vom Treppenhaus her begehbar.

Simon Heusser macht den Besucher auf bauzeitliche Elemente an den Fenstern oder den Bodenleisten aufmerksam, auf eine versteckte Handwerkerinschrift hinter einer Blende, erzählt von den nach altem Muster gemachten Fensterläden, «ohne Leim, nur mit Gratleisten und Nägeln zusammengefügt,» führt den Besucher in die modern gestaltete Küche und das Bad und somit in eine andere Welt. Dieser Kontrast ist Programm. «Wir leben im 21. Jahrhundert», sagt Simon Heusser, «und das darf auch gezeigt werden, ohne die Jahrhunderte davor zu verstecken.» Die Küche ist ein Bijou. Grosszügig, schlicht und stimmig. Das Bad: eine Verweiloase.

«Es wird immer noch viel alte Bausubstanz zerstört»


Später, am Tisch unter dem Dach, erzählt Simon Heusser von seiner Ausbildung zum Schreiner und seinem Lehrmeister, der auch Restaurator war. Das habe seinen Blick geschärft. Simon Heusser macht die gestalterische Berufsmatura. Er liest Bücher über Gestaltung, beschäftigt sich mit Fotografie. Als ihm ein Architekt die Schreinerarbeiten überträgt, kommt die Wende. Aus den geplanten vier werden zwölf Monate. Simon Heusser, gerade mal 22 Jahre alt, fällt den Entscheid, beruflich selbstständig zu werden.

Der Sprung in die Selbstständigkeit ist ein Wagnis. Im Regal neben dem Esstisch stehen Fachbücher mit hundertjährigen Texten. Gelegentlich blättert Simon Heusser darin, oder er spricht mit Fachleuten, Architekten und Restauratoren. Doch bei aller Theorie: Der beste Lehrmeister sei das eigene Tun. Ob beim Rundgang oder beim
Austausch am Tisch: Man spürt Heussers Herzblut, sein Engagement für sein Haus, aber auch seinen Willen, zu vermitteln, was er hier an der Steingasse 47 macht. Sein Onlineauftritt ist somit durchaus auch didaktisch motiviert. «Ich will interessierten Leuten eine Plattform liefern und ihnen zeigen, was auch noch möglich wäre», sagt Heusser, «denn aus purer Unwissenheit wird immer noch viel alte Bausubstanz zerstört.»

Simon Heusser: «Ich will interessierten Leuten eine Plattform liefern und ihnen zeigen, was auch noch möglich wäre.» (Bild: Fabio Baranzini / Kanton Aargau)

Schutzobjekt von nationaler Bedeutung

Wie ernst es ihm ist, hat Simon Heusser mit einer einzigartigen Aktion bewiesen. Während Bauherren sich die Denkmalpflege eher vom Leib halten, hat Simon Heusser sich ihr geradezu in die Arme geworfen. Kaum Besitzer des Hauses, hat er bei der kantonalen Denkmalpflege Schutz für das Objekt beantragt. Inzwischen wurde das «Säckelmeisterhaus» gar mit dem Prädikat «Schutzobjekt von nationaler Bedeutung» geadelt. Heussers Können hat vor geraumer Zeit noch eine weitere Ankerkennung erfahren. Die auf seinem Blog publizierte Fassadendokumentation
wurde telquel in ein Lehrmittel für Architekturzeichnerinnen und -zeichner übernommen – auch das ist eine Art Ritterschlag.

Text: Marco Guetg, Journalist, Zürich

Dieser Artikel wurde erstmals in der Zeitschrift Heimatschutz/Patrimoine 1-2021 veröffentlicht.
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