Herzstück am Munder Berg

Beispiel eines jungen Paares, das ein 500-jähriges Baudenkmal kauft und wieder bewohnbar macht.

Stefan Höhn ist Zimmermann, seine Partnerin Salome Fravi Architektin, und sie haben eine gemeinsame Leidenschaft: historische Strickbauten. In Mund bei Naters VS kaufte das Paar ein über 500-jähriges Haus und will dort nun verwirklichen, was auf den ersten Blick unmöglich erscheint: Das Objekt wieder bewohnbar machen.

Es soll niemand behaupten, die Neuen Medien hätten keine positive Wirkung! Ein Beweis dafür liegt im Weiler «Unner Warbflie» am Munder Berg bei Naters VS, 1000 m. ü.M. Dort steht in einem Ensemble das Schnydrighaus. Das stattliche Doppelfamilienhaus aus der Mitte des 15. Jahrhunderts wird seit den 1970er-Jahren nicht mehr genutzt und zerfällt. Anfang 2017 wurde es aus Sicherheitsgründen zum Abbruch freigegeben. Die Walliser Denkmalpflege startete einen letzten Rettungsversuch und kontaktierte den Schweizer Heimatschutz. Der wiederum postete das Objekt auf Facebook. Stefan Höhn, Fachmann für Strickbauten mit Wohnsitz in Chur, sah den Aufruf. Das war an einem Donnerstag im April. Am Samstag fuhr er mit seiner Partnerin Salome Fravi ins Wallis … Seit jenem Samstag im April sind sie Eigentümer des Schnydrighauses.

«Uns war klar, dass wir es uns gut überlegen müssen, ob wir dieses Gebäude mit erträglichem finanziellem Aufwand erhalten können.»

10 000 Franken hat dieser erste Schritt in das Walliser Abenteuer gekostet. Dahinter steckt aber mehr als nur das Credo zweier Strickbau-affiner «Üsserschwiizer». Stefan Höhn, 1975 in Winterthur geboren, machte nach der C-Matura eine Berufslehre als Zimmermann, absolvierte im Anschluss das Grundstudium Architektur an der ETH Zürich, bildete sich im Anschluss zum Möbelschreiner weiter und entwarf und erstellte in den folgenden fünf Jahren von der Bar bis zum Doppelbett, was in einem Haushalt Verwendung findet. Seit 2012 befasst sich Stefan Höhn intensiv mit der Restaurierung und Modernisierung von Strickbauten. Er hat bereits Projekte im Berner Oberland, in Graubünden und im Wallis realisiert – zum Teil zusammen mit Salome Fravi. Die 35-Jährige ist diplomierte ETH-Architektin und hat seit 2015 in Chur ihr eigenes Architekturbüro mit Schwerpunkt Umbau und Restaurierung. Der Sprung der Strickbauspezialisten über den Furkapass hat demnach auch eine rein berufspraktische Seite. Das Paar liebäugelte mit einem temporären Lebensort im Wallis und somit dort, wo künftig vermehrt Arbeit anfallen dürfte.

Das alles ist vorerst noch Vorstellung. An einem sonnigen Septembertag stehen wir an ihrem erträumten Zukunftsort. Das Haus ist eingerüstet. Ein Notdach schützt das morsche Gebälk. Hinter dem Haus liegen geschichtete Steinplatten Sie stammen vom alten Dach. Das Haus und die Umgebung sind inzwischen wieder gesichert. Viel Schutt hätten sie angetroffen, erinnern sich Stefan Höhn und Salome Fravi, Berge von Schuhen, Kleider, die noch an den Haken hingen. Bei ihrer Ankunft hätten sie schon ein «mulmiges Gefühl» gehabt. Kunststück. Die marode Bausubstanz erkennt auch der Nichtkenner. «Uns war klar», erinnert sich Stefan Höhn, «dass wir es uns gut überlegen müssen, ob wir dieses Gebäude mit erträglichem finanziellem Aufwand erhalten können.»

Das Schnydrighaus wird seit den 1970er-Jahren nicht mehr genutzt. Anfang 2017 wurde es zum Abbruch freigegeben. (Bild: Stefan Höhn)

Ja, dieser Ofen!

Die ersten Bedenken verscheuchte letztlich die Faszination für das Objekt. Salome Fravi schlägt den historischen Bogen. «Dendrochronologische Untersuchungen datieren die Mehrheit des Föhrenbauholzes auf das Fälljahr 1435.» Das Schnydrighaus ist somit eines der ältesten Wohnhäuser der Gemeinde. Stefan Höhn führt den Blick des Besuchers zu Details, weist auf einen senkrechten Stützpfosten beim Firstbalken, den «Heidenbalken»; zeigt auf die raue Schnitzerei und benennt sie mit dem Fachterminus Rautenfries, zeigt auf ein «eingeflicktes Balkenstück», ein Indiz für eine frühere Fensteröffnung. Später, wir hangeln uns übers Gerüst ins Haus, wird das Ausmass der Schäden vollends sichtbar. In der Westfassade klafft ein Loch. Die Ostwand haben Schädlinge zerstört. Das Holz bröselt. Aber auch hier kann Stefan Höhn gleich auf die gewölbten Decken und somit etwas Spezielles hinweisen. «Solche Tonnengewölbe verschwanden im 16. und 17. Jahrhundert.» Wir tippeln vorsichtig in die einstige Küche. Das Dach ist vollständig eingefallen. An Nägeln hängt noch rostiges Geschirr. Ein Loch in der Küchenwand führt zum Ofen in der angrenzenden Stube. Ja, dieser Ofen! Er ist die historische Preziose des Hauses. «Der aus Bruchsteinen gemauerte Specksteinofen», sagt Stefan Höhn, «ist ein Vorgänger des traditionellen Walliser Glitsteinofens.» Sein Auflagebalken wird ins Jahr 1488 datiert. Öfen dieser Art gebe es im ganzen Kanton Wallis noch an vier weiteren Orten, lesen wir im Bericht der kantonalen Denkmalpflege und denken: Was immer mit dem Haus geschehen wird, der Ofen wird überleben – und seis nur als Anschauungsobjekt in einem Museum.

Das Ehepaar auf der Baustelle. (Bild: Marco Guetg)

Der Rest der Ruine ist in Planung und hat eine tiefere Bedeutung. Angestachelt durch die Herausforderungen des eigenen Objektes, besucht Zimmermann Höhn den Lehrgang «Handwerker in der Denkmalpflege». Seine Diplomarbeit ist sein Haus. «Wir machen jetzt eine Anamnese des Objektes. Danach schauen wir, was technisch machbar und wie es finanzierbar ist.» Rein technisch glaubt Stefan Höhn, dies Riesending zu packen. Und wenn die Finanzierung scheitert? «Dann wird der Ofen wohl ausgebaut werden und der Rest abgebaut – dies würde dann aber ein extrem teurer Weiterbildungskurs…» Stefan Höhns und Salome Fravis Lachen verrät, dass sie noch keine Sekunde daran zweifeln, dass ihr Herzstück am Munder Berg nicht diese schlimmstmögliche Wendung nehmen wird.



Text: Marco Guetg, Journalist, Zürich

Dieser Artikel wurde in der Zeitschrift Heimatschutz/Patrimoine 4-2017 veröffentlicht.
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