Charakter hat Bestand
Das «Jänischhüs» in Gspon (VS)
Das «Jänischhüs» aus dem 18. Jahrhundert mit Stallscheune und Stadel in Gspon (VS) wurde von Lukas Furrer 2000/03 erworben und anschliessend durch sein Büro Flury+Furrer Architekten Zürich umgebaut. Es war sein Traumobjekt und Wunschprojekt. Ein Glücksfall, denn hier verwurzelt, Bauherr, Architekt und Ausführender in einem, schuf Furrer ein gestärktes Ensemble, bei dem sich historische Substanz und zeitgenössische Architektur subtil begegnen.
Auf einer Sonnenterrasse, umgeben von einem atemberaubenden Bergpanorama und eingebettet in eine intakte Natur- und Kulturlandschaft, liegt Gspon. Der Weiler befindet sich auf 1893 m ü. M. in der Gemeinde Staldenried im Walliser Bezirk Visp. Er ist Teil einer für das Gebiet typischen Hauslandschaft mit verstreuten Siedlungen, Weilern und Einzelhöfen. Das Klima ist besonders mild und trocken, und die Waldgrenze liegt sehr hoch. Hier, wo der ehemalige Handelsweg von Visp ins Saastal über den Monte-Moro-Pass nach Italien durchführt, trifft man nicht nur auf die höchstgelegenen historischen Bewässerungskanäle, sondern auch auf viele für die Gegend charakteristischen Häuser und Gebäudegruppen. Eine davon bildet das am oberen Rand von Gspon gelegene «Jänischhüs» mit Stallscheune und Stadel.
Der Typische aus Holz und Stein
Das «Jänischhüs» genannte Wohnhaus ist ein regionaltypischer Blockbau, der im Kern ins 18. Jahrhundert zurückreichen dürfte. Auf einem steinernen Sockelgeschoss, das ehemals als Keller diente, sitzt der doppelgeschossige, zweiraumtiefe Blockbau mit flach geneigtem Dach. Ursprünglich umfasste dieser wohl nur ein einziges Geschoss, das eine Wohnung beherbergte. Im talseitigen Vorderhaus lagen Stube und Nebenstube, die durch kleine Zweier- oder Dreierfenster in den Fassaden belichtet wurden. Im bergseitigen Hinterhaus befand sich die Küche, in welche die traufseitig angelegte Eingangstür führte. Zu einem späteren Zeitpunkt stockte man ein Geschoss mit identischem Raumgefüge auf und richtete eine weitere Wohnung ein. Diese war über eine Aussentreppe und eine Laube erschlossen. Die Wände des Küchenbereichs bestanden über beide Geschosse aus Bruchsteinmauerwerk. Diese «Versteinerung» war vermutlich eine Brandschutzmassnahme, wie sie in der Region verbreitet war. In den Deckenbalken in der unteren Stube sind die Jahreszahl 1764 sowie die Namen «Anne Maria Burgener» und «Petrus Josef Andermatten» eingeschnitzt. Letzterer amtete zu diesem Zeitpunkt als Kastlan in Visp und war möglicherweise der Erbauer des Hauses. Der mit der Jahreszahl 1765 versehene Specksteinofen stammt ebenfalls aus dieser Zeit. Auf dem Ofen im oberen Geschoss steht die Jahreszahl 1858, die vielleicht auf den Zeitpunkt der Aufstockung verweist.
Der neue Alte
Das baufällig gewordene und seit den 1980er-Jahren leer stehende Gebäudeensemble wurde von Architekt Lukas Furrer 2000–2016 als Ganzes wieder instand gesetzt. Primäres Anliegen war es, die ursprüngliche Bauweise und die Gebäudestrukturen zu respektieren und die Eingriffe möglichst gering zu halten. Dabei wurde Wert auf die Wiederverwendung originaler Substanz und den Gebrauch ursprünglicher Baumaterialien bei neuen Konstruktionsteilen gelegt.
Nach dem Umbau präsentiert sich das «Jänischhüs» äusserlich weitgehend unverändert. Das Blockgefüge aus Lärchenholz wurde mitsamt den kleinen Fensteröffnungen beibehalten. Den hinteren Hausteil aus Bruchsteinmauerwerk, der wegen Rissen teilweise abgetragen werden musste, baute man steingerecht wieder auf. Im Hausinneren wurden Holz- und Steinoberflächen gereinigt. Die schönen Steinöfen in den Stuben sowie die Feuerstellen mit den Rauchabzügen und die massiven Schüttsteine beliess man in beiden Geschossen. Ebenso fanden die gut erhaltenen Boden- und Deckenbretter aus Lärche und Arve Wiederverwendung. Den hölzernen Eingangstüren innenseitig vorgehängte Glastüren erlauben es, diese offen zu lassen. So dringt mehr Licht ins Hausinnere, das zusätzlich durch den weissen Kalkanstrich auf den vom Russ befreiten Küchenwänden heller wirkt. Der bei einem früheren Umbau an der hinteren Hausfassade angebrachte Abortturm wurde durch einen neuen Anbau aus Bruchstein und Lärchenholz ersetzt, in dem die Nasszonen untergebracht sind. Die innenseitige dünne Schale aus Sichtbeton dichtet ihn ab. Der mit örtlichem Kies vermengte Beton findet auch bei Böden und Küchenablagen Verwendung.
Der Umbau, bei dem die historische Substanz sowie die Funktionen der Gebäude respektiert und zeitgemäss angepasst wurden, stärkte die Baugruppe. Im Hauptgebäude sind immer noch zwei Wohnungen eingerichtet. Der Stadel wird weiterhin als Lagerraum genutzt. Und die Stallscheune beherbergt neu ein Atelier. Mit der Instandsetzung ist es nicht nur gelungen, Alt und Neu architektonisch subtil zu vereinen, sondern auch ein typisches, nicht mehr bewohntes Gebäudeensemble im Alpenraum wieder vielfältig nutzbar zu machen.
Text: Brigitte Moser, Kunsthistorikerin und Mittelalterarchäologin, Zug; Bild: Flury+Furrer Architekten, Patrick Furrer
Dieser Artikel wurde erstmals in der Zeitschrift Heimatschutz/Patrimoine 1-2017 veröffentlicht.
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